Die John Lennon Mauer in Prag

Die John Lennon Mauer in Prag

© Antje Sommer

Die Winterzeit ist vorbei und das warme Wetter in Europa lädt viele Menschen zum Reisen ein. Ein beliebter Reiseort in Europa ist zweifelsfrei die Hauptstadt Tschechiens, Prag. Erst bis vor Kurzem habe ich durch Antje Sommer (eine Freundin) über die Prager John Lennon Mauer, die in unmittelbarer Nähe zur Karlsbrücke steht, erfahren. Prompt stellte ich mir die Frage, warum eine Mauer nach John Winston Lennon benannt wurde.
Zugegeben, meine ersten Assoziationen waren eher Kampf gegen staatliche Repressionen, Streben nach politischer Freiheit und vor allem die Frage nach der Bewusstseinsbildung. Aber der Gedanke diese Mauer als einen touristischen Anziehungspunkt zu verstehen, war ebenfalls vorhanden. Doch was macht denn nun einen John Lennon so besonders und wie kam es zur „Personifizierung“ der Mauer? Bevor ich aber auf die Lennon Mauer eingehe, möchte ich zunächst einen kurzen Abschnitt zur Bedeutung John Lennons und der „The Beatles“ wagen.

 

Technischer Upgrade der Gitarre erreicht Masse

Rückblickend können wir festhalten, dass die Industrialisierung die Weltordnung grundlegend verändert hat. Dabei haben technologische Entdeckungen nicht nur für effiziente Produktionsmaschinen und Transportmittel gesorgt, sondern auch die Unterhaltungskultur maßgeblich beeinflusst. Es lohnt sich in diesem Sinne einen kurzen Blick auf die Organologie (Wissenschaft von Musikinstrumenten) zu werfen. Denn ab den 1920er Jahren gewinnt diese Disziplin einen besonderen Untersuchungsgegenstand, dessen Ausmaß große Teile der Weltgemeinschaft erreicht und ihre Musikkulturen begleitet: die Gitarre.

Zu nennen sind hierbei insbesondere die Arbeiten von John Dopyera, der im Jahre 1925 die Resonatorgitarre entdeckt, sowie von George Beauchamp und Adolph Rickenbacker, die zu Beginn der 1930er elektromagnetische Tonabnehmer in die Gitarre einbauen. Diese Arbeiten waren mit der einfachen Frage verbunden, wie man die Gitarre noch kräftiger zum Klingen bekommen kann, um somit die Zuhörerschaft auf Auftrittsorten zu erhöhen – eine typische Motivation im beginnenden Zeitalter des Massenkonsums.
Später kommen Gitarrenverstärker als unverzichtbare Wegbegleiter zahlreicher Bands dazu. Diese Entwicklungen führten zu neuen Musikstilen, Zielgruppen mit zunehmenden Szenenkulturen und ebenfalls zu neuen Veranstaltungsformaten von Konzerten und Festivals.

All you need is love, Baby

Kurz vor Mitte des 20. Jahrhunderts passiert in der Musikgeschichte etwas, was zuvor noch nie geschah. Jugendliche werden als Zielgruppe definiert, woraus zielgruppengerechte Musiktexte und vor allem neue Ausdrücke von Lebensvorstellungen entstehen. Es folgt in der Tat eine junge Generation, die durch ihre Abkehr zu traditionellen Lebensvorstellungen neue Wege des Ausdrucks suchten – im späteren Verlauf entwickelte sich dieser Ausdruckswille zu einer Konterkultur. In dieser Zeit waren Jugendliche nicht nur Konsumenten von herausgebrachten Musiken, sie waren vielmehr auch diejenigen, die diese Musiken produzierten, aufführten und diese öffentlich verkörperten.

Zu den bekanntesten gehören „The Beatles“, die durch ihre unorthodoxen Aussagen es geschafft haben Diskussionsgegenstand im britischen Parlament zu werden. Mit dem Song „All you need is love“ bei der Liveaustrahlung im „Our World“, einer global ausgestrahlten Sendung der British Broadcasting Corporation (BBC), am 25. Juni 1967 erreichten sie ca. 400 Millionen Menschen in 26 Ländern. Drei Jahre zuvor, am 09. Februar, waren die Beatles zu Gast in den USA, als die amerikanischen Streitkräfte in den Norden Vietnams einmarschierten. Dieser Besuch sollte die Nachrichten der US-Kriegspolitik decken und mit der bewussten Förderung der Popkultur durch die Bezeichnung „Beatlemania“ Jugendliche ablenken. Ihr Debüt im amerikanischen Fernsehen verfolgten mehr als 74 Millionen Menschen. Reichweiten, von denen so manche Systemakteure nur hätten träumen können. Dennoch wussten Politiker nicht, wie sie mit dem Ansturm der Jugendlichen und der damit verbundenen gesellschaftspolitischen Dimension umgehen sollten. Es waren Zitate wie die von John Lennon „We are more popular than Jesus now.“, die die weltweite Aufbruchstimmung der Jugendlichen gegenüber der systemkonformen älteren Generation aufheizen sollten. Ereignisse wie der Kalte Krieg und dessen globale Auswirkung, die aufsteigende Popkultur durch Fernseher und Musik waren Impulsgeber dieser Stimmung.

„From Napoleon and Caesar“

Menschen, die staatsilloyal waren und das geordnete und geregelte Leben infrage stellten, gehörten fast in jedem Nationalstaat zu den Unruhestiftern und galten somit als Staatsfeinde – dementsprechend wurden sie auch so behandelt. Jahre später erfuhr die Öffentlichkeit, dass die FBI gegen John Lennon angehen wollte und knapp 40 Kilo Aktenmaterial über ihn besaß. Sogar Elvis Presley hat dabei gegen die Beatles ausgesagt und ihre Musik als Problembereiter der damaligen Jugend reduziert. Schließlich beschränkte sich die Einflusssphäre der Beatles auf die junge Generation nicht nur durch ihre Musik oder ihren Outfits, sondern auch durch ihre Kommunikationsform gegenüber der von der älteren Generation dominierten Gesellschaft:

„Reporter: ,What do you boys plan to do after this?´
Ringo Starr: ,What else is there to do?´
Reporter: ,How much schooling did you have?´
Ringo Starr: ,Enough.´
Reporter: ,Where did you get your hairstyle?´
Paul McCartney: ,From Napoleon and Caesar.´ “

Lennons Texte auf Demos

John Lennon und Paul McCartney waren das unschlagbare und kurze Zeit später von Hassliebe erfüllte Songwriter-Duo dieser Zeit. Lennon war jedoch derjenige, der in seinen Liedertexten ethische Fragen im Rahmen politischer sowie sozialer Themen behandelte. In politisch brisanten Zeiten zeigten die Songs ihren Nutzen für Anti-Kriegs-Aktionen. So schrieb Lennon im März 1971 im Zuge des Vietnamkrieges den Song „Power to the People“, welcher auf einer Anti-Vietnamkrieg-Demo gesungen wurde. Zudem wurde das ebenfalls legendäre Lied von Lennon „Give Peace a Chance“ in zahlreichen Demonstrationen gesungen. Ab und zu mal mit der einzigen Ausnahme, dass Demonstranten im Refrain statt „All we are saying is give peace a chance“; „All we are saying is get Nixon´s Ass“ sangen.

Verglichen mit den anderen Bandmitgliedern war Lennon der Exzentriker schlechthin. Er verkörperte das vielleicht von jedem Menschen innerlich ersehnte friedliche und tabulose Leben. Vielleicht sind es nicht nur die sozialen und politischen Standpunkte, die Lennon zu dem machen, was er war und immer noch ist, sondern auch die damit verbundene konträre Lebensanschauung und vor allem Lebensweise gegenüber etablierten Strukturen.

Die Entstehung und gesellschaftspolitische Bedeutung der Lennon Mauer

Nachdem Tod von Lennon entsteht in Prag die Lennon Mauer, die zuvor Zeď nářků hieß und schon damals als eine Klagemauer gegen das kommunistische Regime in der damaligen Tschechoslowakei fungierte. Charakteristisch für die Mauer sind die zahlreichen – größtenteils sich überdeckten – zum Frieden aufrufenden Zitate aus Lennons Werken sowie Abbildungen von Lennon selbst. In den 1980er Jahren nehmen die Auseinandersetzungen mit der kommunistischen Führung zu. Auf den Mauern sind nicht mehr nur Abschnitte von Lennons Songtexten zu lesen, sondern auch direkte Kritiken gegen die führende kommunistische Regierung. Auch wenn regierungsnahe Gruppen die Kritiken und Zitate mit Farbe überdeckten, waren diese innerhalb weniger Tage wieder bemalt. Die Entschlossenheit, Meinungen auf dieser Mauer ausdrücken zu wollen, war einfach zu stark. Es kommen zu (teils heftigen) Auseinandersetzungen zwischen Regimegegnern und Regime-Befürwortern. Regimegegner beruhten ihren Kampf gegen Regime-Befürworter auf Lennon, der für sie als Inbegriff einer idealen Welt galt. Um ihrer Überzeugung und ihren Handlungen einen festen Halt zu geben, fügen sie später das Suffix -ismus an Lennon an. Der Lennonismus war nun Ausdruck einer Bewegung, deren Impuls auf einer weltverbesserischen Ideologie fußte.

Wandel der Staatsform

Ende der 1980er Jahre befanden sich viele osteuropäische Staaten in der Endphase des Kommunismus. Die Tschechoslowakei wechselte innerhalb weniger Wochen ihr Staatssystem vom Realsozialismus zur Demokratie. Diesen Übergang, der größtenteils friedlich verlief, bezeichnet man als Samtene Revolution. Am 01. Januar 1993 ging die Tschechoslowakei zur tschechischen Republik und von ihr getrennt zur slowakische Republik über. Mit diesem Wechsel entstanden jedoch Fragen zum Wesen der Lennon Mauer: Bleibt die gesellschaftspolitische Essenz bestehen? Welche Bedeutung wird sie von nun an haben? Wie wird der Staat und dessen Bevölkerung mit der Mauer umgehen?

Wall is over – Überbleibsel oder kulturelles Erbe?

Die Lennon Mauer entwickelt sich zu einem Ort, an dem zwar immer noch die Ideale einer friedlichen Welt festgehalten werden, jedoch wird sie vielmehr zu einem Anziehungspunkt der Prager Kulturlandschaft mit zunehmend touristischem Charakter, auch unter Obhut der Stadt. Unzufriedenheiten werden weiterhin auf der Wand verewigt und sogar nicht nur auf die eigenen Staatsgrenzen beschränkt. Heute drücken die Menschen ihren Unmut zu globalen Ungerechtigkeiten auf der Mauer aus, indem sie beispielsweise Nachrichten an unter staatlichen Repressalien leidenden Menschen richten. Damit gewinnt die Bezeichnung „globale Kommunikation“ eine weitläufigere Bedeutung.

Ob die Mauer aber für die Bevölkerung der Tschechischen Republik gesellschaftspolitisch noch von Bedeutung ist, bleibt offen. Am 25. Jahrestag der Samtenen Revolution bedeckt eine Studierendengruppe die komplette Wand mit weißer Farbe. All die Schriften und Abbildungen der vergangenen Jahre waren verschwunden. Es folgte harsche Kritik vom Eigentümer der Mauer und von städtischen Vertretern, die es eher bevorzugten die Mauer in ihrem gegenwärtigen Zustand zu schützen. Einer der Studenten war der festen Überzeugung, dass sie im Namen aller, die nach der Samtenen Revolution geboren waren, gehandelt haben. Man sei sich dem gesellschaftspolitischen und historischen Wert der Wand durchaus bewusst, doch wollten sie mit dieser Aktion ein eigenartiges Zeichen zum Fall der Berliner Mauer und zum Eisernen Vorhang setzen. Man kann sicherlich zu dieser Aktion Position beziehen, doch sie bringt eine durchaus diskussionswürdige Frage hervor: Haben die Studierenden doch nicht im Sinne des Lennonismus gehandelt? Denn die Konservierungsabsichten der Kritiker wären höchstwahrscheinlich nicht mit den Idealen Lennons vereinbar gewesen, oder doch?

Bestaunen, Selfies machen und zur Stimmung beitragen

Trotz dieser Auseinandersetzung hat die Mauer es geschafft, sich wieder „bemalen“ zu lassen, und sie ist genauso bunt und aussagekräftig wie zuvor. Mittlerweile zählt die Mauer zum festen Bestandteil der Prager Kulturszenen und etabliert sich zu einem wichtigen Zielort für Touristen. Dass der touristische Wert der Mauer zu Gunsten der Prager Kulturlandschaften gepflegt wird, erfahre ich durch die Aussagen von Antje. Ich fragte sie nicht nur nach der Mauer selbst aus, sondern auch über die Aktivitäten um die Mauer herum. Gibt es Möglichkeiten Souvenirs zu kaufen? Was ist, wenn mal der Magen knurrt – gibt es in unmittelbarer Nähe Imbissstuben oder Ähnliches? Sind Straßenkünstler anzutreffen? Was für eine Stimmung kann man wahrnehmen? Antje schildert ihre Eindrücke wie folgt:

„Tatsächlich gibt´s nur ein John Lennon Bistro direkt daneben 😀 Die Mauer ist eher ein Insidertipp, dennoch verschlägt es die selfiehungrige Masse gerne dorthin, wenn sie noch nicht genug von der Karlsbrücke bekommen haben, die keine 500 Meter entfernt ist.
Tatsächlich bietet einer dort Polaroids an, die man von sich machen lassen kann, und oft tummeln sich Amateurgitarristen davor, die aber nichts von John Lennon singen.
Heute bot ein Tourist selbst ein Ständchen an, er durfte sich die Gitarre leihen. Für etwa 4 Minuten stimmte dann seine Gruppe spontan mit in seinen Gesang ein. Das Lied kannte ich leider nicht, aber die Atmosphäre war schön – die Gruppen waren größtenteils aus Asien, England und Deutsche.”

Auch wenn es um überwiegend touristische Attraktionen handelt, deutet Antjes Bericht darauf hin, dass die Lennon Mauer es geschafft hat Menschen in einer friedvollen Atmosphäre einen Raum zur Entfaltung anzubieten, vielleicht sogar ganz im Sinne John Lennons.

 

Bildergalerie:

© Antje Sommer

 

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© Antje Sommer

 

Quellen:

Antje Sommer 🙂

Hertsgaard, Mark: The Beatles. Die Geschichte ihrer Musik. München: dtv, 2000.

Wicke, Peter: Rock und Pop. Von Elvis Presley bis Lady Gaga. München: Beck, 2011.

Difference between Paul and John

https://www.kulturraumverdichtung.de/beatlemanie-in-prag.html

https://prag.de/john-lennon-mauer-in-prag-sehenswuerdigkeit-geschichte-bilder-infos-gefahren/

http://www.radio.cz/de/rubrik/tagesecho/wall-is-over-lennon-mauer-in-prag-wurde-weiss-uebertuencht

https://de.wikipedia.org/wiki/John_Lennon#Neue_Wege_und_das_Ende_der_Beatles

https://de.wikipedia.org/wiki/John-Lennon-Mauer

 

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