Die Bedeutung von Musik-CDs rückt seit einigen Jahrzehnten immer mehr in den Hintergrund des Musikkonsums. Auch wenn die daraus entstehenden Zustände auf den nationalen Musikmärkten als ein weltweites Phänomen angesehen werden, sind diese in jedem Staat unterschiedlich nuanciert. Ein kurzer Überblick über die aktuelle Lage in der Türkei.
Währungs- bzw. Wechselkurs Stand 22. Juni 2018: 1€ = 5,49 Türkische Lira (TL)
© Ibrahim Kızılgöz, Cenk Erdoğan
Der Musikmarkt in der Türkei befindet sich seit dem Aufkommen des Internets auf der Suche nach einer stabilen Einkommensmöglichkeit für Musiker. Noch bis vor der Digitalisierung von Audioaufnahmen konnten sich Sänger oder Instrumentalisten durch Schallplatten- und Kassettenverkäufe ihr Lebensunterhalt sichern. Kurze Zeit später kam die Compact Disc (CD) dazu, mit der Eigenschaft digitale Daten wiedergeben zu können. Schallplatten und Kassetten wurden durch die CD ersetzt und gehören heute weltweit längst zur Nostalgieware, die ihren Platz entweder in Archivregalen von Radiosendern und DJs, bei begeisterten Sammlern oder auf dem Müllplatz findet. Bei der CD hingegen sieht es „noch“ etwas anders aus. „Noch“ deshalb, weil die CD sich – vor dem vollständigen Übergang in die Nostalgie – in einer Grauzone voller wirtschaftlichen Risiken befindet.
Nicht abzustreiten ist, dass der Gebrauchswert von CDs unter Konsumenten aufgrund der Möglichkeit Musik im Internet zu konsumieren, gesunken ist. Daher ist heutzutage eine limitierte Auflage eines neu erschienenen Musikalbums von gerade einmal maximal 1.000-2.000 CDs auf dem türkischen Musikmarkt üblich, was folglich die Erfolgserwartungen verkaufter CDs verringert. Weitere CDs werden ab einer bestimmten Mindestanzahl von Nachfragern produziert. Selbst Superstars aus der türkischen Popmusik wie Tarkan müssen sich mit einer relativ niedrigen Verkaufszahl von 150.000 CDs zufrieden geben und als „Riesenerfolg“ propagieren. Mit bereits 50.000 CDs ist man landesweit in den TOP 10 der bestverkauften Alben sicher vertreten, mit 15.000 CDs könnten sich x-Beliebige einen Platz unter den TOP 50 praktisch erkaufen und die Musikindustrie eines ganzen Landes aufmischen.
Was einst als Kerngeschäft der Musikindustrie galt, marginalisiert sich somit zunehmend zu einem finanziell geringwertigem Nebengeschäft mit viel Risikopotential. Dieser Zustand trifft besonders wenig populäre Musiker wie den kurdischsprachigen Musiker Ozan Irmak hart: „Ich muss bei einer 4-minütigen Aufnahme in einem professionell ausgestatteten Tonstudio mit 1.500-1.600 TL Kosten rechnen. Bei dem aktuellen Mindestlohn von 1.603 TL im Monat frage ich mich natürlich, wo das Ganze hinführen soll. Genau aus dem Grund entstehen neue Aufnahmeformate wie music sessions mit Liveaufnahmen, die anschließend auf diversen Internetplattformen wie beispielsweise YouTube abrufbar sind. Die sind deutlich billiger, führen aber dazu, dass die Grenzen zwischen Musik und Markt extrem schwanken.“
Auch wenn eine Absatzverlagerung vom physischen (Schallplatten, Kassetten, CDs) zum digitalen (Download, Streaming) Markt stattgefunden hat, bleiben trotzdem CDs für Musiker aus werbestrategischen Gründen von wichtiger Bedeutung. Denn die Funktion von CDs sind heute für Musiker vielmehr als Visitenkarten zu verstehen, womit sie sich auf dem Markt effektiv behaupten können.
Problemfaktor Schwarzmarkt
Jüngste Berichte des türkischen Markenschutzverbandes für Marken- und Produktpiraterie (Marka Koruma Grubu) zeigen deutliche Problemfelder. Schätzungsweise beträgt das Gesamtvolumen des Schwarzmarktes in der Türkei bei 17,2 Milliarden US-Dollar (weltweit auf Platz 2, hinter China), exklusive dem widerrechtlichen Handel auf dem Internetmarkt. Im Vergleich zu den Vorjahren ist die Tendenz signifikant steigend – noch 2016 betrug der Schätzwert bei 10 Milliarden US-Dollar. Da der Verband Musik-CDs mit Film-DVDs statistisch in der Kategorie Geistiges Eigentum festhält, gibt es keine genauen Eckdaten über Raubkopien von original Musik-CDs. Allerdings berichtet der Verband, dass die illegale Nutzung des Geistigen Eigentums bei Musikstücken zwischen 80% und 90% liegt.
Die türkische Verwertungsgesellschaft für Phonoindustrie Bağlantılı Hak Sahibi Fonogram Yapımcıları Meslek Birliği (MÜ-YAP) betont, dass trotz des Rückgangs physischer Produkte (CDs, Schallplatten etc.) weiterhin die CD-Piraterie überwacht wird. In Zusammenarbeit mit internationalen Einrichtungen konzentriert sich MÜ-YAP vielmehr auf die illegale Nutzung im Internet durch Down- und Uploads, wozu Überwachungen auf Foren, Blogs, Convert-Seiten usw. zählen. Laut dem Weltverband für Phonoindustrie (IFPI) beträgt der weltweite illegale Download- und Upload von Musikstücken bei 35%. Ob man aber tatsächlich technisch und rechtlich gegen diesen Zustand angehen kann, bleibt fraglich. Denn so sehr sich MÜ-YAP auch gegen den illegalen Markt zu bemühen scheint, beklagen sich Musiker schon länger über die lahme und nicht funktionierende Struktur der Verwertungsgesellschaft.
Die Attraktivität originaler Musik-CDs
Um CDs so verkaufsfördernd wie möglich zu gestalten, haben Labels wie Kalan, dessen Hauptanliegen es ohnehin ist historisch und gesellschaftlich bedeutungsvolle Musikalben auf den Markt zu bringen, CDs mit Booklets ausgestattet. In diesen Booklets findet man Wissenswertes über die unterschiedlichen Ethnien und Musikkulturen der Türkei, zum Teil auch auf Englisch. Dadurch erreichen derartige CDs die Funktion den kulturellen Mehrwert der Türkei landesweit und darüber hinaus nicht nur musikalisch zu vermitteln. Auch Musiker tendieren heute dazu, einen persönlichen Bezugspunkt in ihre CDs einzubauen, um somit zumindest das Gefühl des emotionalen Teilens zwischen Musiker und Zuhörer zu fördern. Bilder von Familienmitgliedern, verstorbenen Freunden oder von eigenen Haustieren, aber auch intime Notizen sind daher keine Seltenheiten mehr. Diese Art von Gestaltungen seitens der Labels und Musikern erhöhen den Gebrauchswert von CDs und regen Konsumenten zum Kauf originaler CDs an.
© Ibrahim Kızılgöz, Cenk Erdoğan
Besonders durch den Währungsverfall der TL ist der Kauf von CDs für Konsumenten aus den Euro-Ländern „unverschämt“ günstig. Neu erschienene Alben kann man bereits für 18 TL erwerben. Ob bei diesen Preisen der CD-Markt in der Sommersaison durch Touristen aus Euro-Ländern florieren wird, bleibt definitiv abzuwarten. Der Musikjournalist und -Autor Cumhur Canbazoğlu meint: „Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie musikbegeisterte Touristen 20-30 CDs in ihren Koffern hatten. Dabei meine ich ausschließlich englischsprachige Musik-CDs, da dieselben in ihren Ländern deutlich teurer sind. Meine Aussage beschränkt sich aber nur auf „musikbegeisterte Touristen”. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Normalverbraucher-Touristen überhaupt CDs kaufen. Jene bedienen sich eher dem digitalen Musikmarkt.“
Rechtlich gesehen spricht dem Kauf von CDs in der Türkei auch nichts dagegen. Für Händler aus Deutschland wird kein Zollsatz für die Einfuhr von CDs in den europäischen Binnenmarkt erhoben. Es fallen lediglich Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von 19% an. Nach wie vor gilt für den Endverbraucher, auch für Touristen außerhalb der Türkei: keine zusätzlichen Steuern, keine zusätzlichen Gebühren auf CDs.
Quellen:
Ozan Irmak 🙂
Cumhur Canbazoğlu 🙂
https://haber.yasar.edu.tr/genel/turkiyenin-sahte-ve-kacak-bilancosu.html
http://www.haberturk.com/magazin/herkes-bunu-konusuyor/haber/731312-album-satis-listesi-aciklandi
http://www.ifpi.org/facts-and-stats.php
http://www.markakorumagrubu.org
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