Kulturpolitische Gedanken und Neujahresgrüße 2019

Der gute alte Mythos

Tja, beim Thema „Musikinstrument erlernen“ könnte man die besten Gedanken um Philosophie, Ästhetik und Struktur sowie letztendlich individueller Kompetenzerweiterung auf den Tisch legen.
Ein Musikinstrument zu erlernen bedeutet gleichzeitig sich mit Mathematik, Physik zu beschäftigen, die Lehren Pythagoras und Fibonaccis ganzheitlich zu verstehen und diese sogar in der Praxis im Idealfall schon im vorschulischen Alter anzuwenden. Literatur tief aufzusaugen, wo im Gegensatz die Schulen nicht mal imstande sind Kindern und Jugendlichen einige wenige Seiten zum lesen zu bringen. Geistige (Konzentration etc.) und physische (motorische) Fähigkeiten auszubauen sowie Disziplin einzufordern.
Das sind so die gängigsten Vorteile, die genannt werden, um jemanden zu überzeugen ein Musikinstrument zu erlernen. Das ist natürlich Quatsch.

Kurzer Vergleich mit Fußball: Bewusst provokativ ausgedrückt lernt man auch im Fußball Mathematik und Physik – man denke nur an die extrem filigranen Ballführungen und präzisen Schusstechniken von Lionel Messi und Cristiano Ronaldo. Literatur? Es gibt mittlerweile zahlreiche Biographien von Fußballspielern – Oliver Kahns selbstgeschriebenes autobiographisches Buch hat es immerhin bis zum renommierten Literaturkritiker Denis Scheck geschafft – aber zugegeben nicht in den höchsten Tönen gelobt. Bekanntlich fordert und fördert auch der Sport die geistige und motorische Fähigkeit eines Menschen.

Worum geht es eigentlich in der Diskussion um das Erlernen eines Musikinstrumentes?

Genau hier setze ich an und versuche die Positionen dahin zu bringen, wo sie letztendlich auch hingehören: In das Feld der Bodenständigkeit und kritischen Auseinandersetzung. Denn die erwähnten Vorteile bilden einen eindimensionalen Eindruck, der eher von kultureller Hoheit bestimmt und daraus resultierend von hierarchischen Denkmustern geprägt ist. Beruhend auf meine Beobachtungen und Erfahrungen behaupte ich, dass es bei der mehrheitlichen Diskussion um das „Musizieren“ lediglich um zwei Aspekte geht, die auf neoliberale Grundeinstellungen basieren: Entweder um Kulturpflege, die sich beispielsweise in staatlichen Förderprogrammen in Begriffen wie Heimatpflege manifestieren oder um die maximale Förderung eines Kindes.
Der erst genannte Aspekt setzt ein starkes kulturpolitisches Feingefühl voraus, gerade in Zeiten kultureller Grenzziehungen durch national-konservative Gruppen. So fordert beispielsweise die Partei Alternative für Deutschland (AfD), dass der inhaltliche Fokus der Erinnerungskultur vielmehr auf „positiv identitätsstiftenden Aspekte der deutschen Geschichte gelegt werden“1) solle. Damit ist zum einen die von der AfD gewünschte Verdrängung Hitler-Deutschlands aus den Geschichtsbüchern gemeint und zum anderen die Stärkung einer deutsch-nationalen Identität als Gegenbewegung zum proklamierten Begriff „Vielfalt“ der Kulturen und Individuen.
Mit dem zweit genannten Aspekt werden sich wohl PädagogInnen bestätigt fühlen, denn es handelt sich im Allgemeinen um ein „Erziehungsproblem“. Das Kind soll innerhalb kürzester Zeit so viel lernen, wie es möglich ist und dabei innerhalb von Konkurrenzgesellschaften hervorstechen. Dabei ist die zeitliche Komponente für Menschen mit viel oder wenig Geld relevant und bestimmt somit einen unausgesprochenen, aber klar erkennbaren Maximalismus. Man erhofft sich dadurch das eigene Kind zu einem, wie es in der spirituellen Welt neuerdings heißt, „Super-Human“ zu formen, der all seine Sinne aktivieren und im neoliberalen Sinne dadurch jegliche Vorteile auf Märkten für sich beanspruchen kann.

Kulturpolitischer Doppelstandard und Schulen

Das Erlernen eines Musikinstruments verkommt im Endergebnis zu einem zweckgebundenem Mittel und dient daher vornehmlich nur denjenigen, die a) finanziell oder b) in der formalen Bildung gut gestellt sind. Wie wirkt sich das in der Praxis aus? Finanziell gut gestellte Musikinteressierte haben wesentlich mehr Möglichkeiten aus staatlichen oder privaten Fördermitteln der Kunst- und Kultursparten zu profitieren, während Musikinteressierte aus ökonomisch schwachen Verhältnissen letztendlich eher mehr auf Förderprogramme von Sozialfonds zurückgreifen. Dort geht es dann allerdings nicht um künstlerisch-ästhetische Fragen und Aspekte, sondern um sozialpolitische Zielsetzungen wie beispielsweise „Integration“. Wer mich gut kennt, weiß genau, dass ich von solchen Begrifflichkeiten wie „Integration“ gar nicht viel halte, diese sogar als menschenfeindlich einstufe, weil derartige Begriffe keinen Raum für Details zulassen und vielmehr ein schmales kategorisches Denken fördern und fordern, was letztlich auch dazu führt, dass jedeR sich dazu berufen fühlt den Anderen weiszumachen wie man sich zu „integrieren“ habe, also im Klartext zu leben habe. Daher bewegen sich diese auch vielleicht gut gemeinten Begriffe eher im Kreis der Intoleranz.

In Schulen sieht es konkret folgendermaßen aus: Ich habe in meiner Herkunftsregion Altersgenossen kennenlernen dürfen, die begnadete Musiker waren, aber aufgrund ihrer jungen Lebensjahre in Deutschland auf eine Sonderschule mussten. Auf der Sonderschule konnten sie nur sehr bedingt ihre musikalischen Fähigkeiten und Interessen freien Lauf lassen. Auf Real- und Hauptschulen hätte es womöglich nicht besser ausgesehen. Gerade deshalb bin ich dagegen, dass Gymnasien erheblich mehr von Förderprogrammen profitieren dürfen als Real-, RealPlus- Haupt- und Sonderschulen. „Wer Musik lebt, schafft die Schule mit links“, sagte mal ein elitärer Musikgelehrter. Ja, eben nicht. Wer Musik lebt, kann selbstverständlich aufgrund anderer Faktoren die Schule nicht mit links schaffen.

„Was tun?“, sprach Zeus

Unser heutiges Bildungssystem ist stark reformbedürftig und sitzt immer noch in alten Strukturen fest. Verfolgt man die aktuellen Debatten um Digitalisierung in Schulen, so bleibt für die Zukunft wenig Hoffnung, dass diese gegen unsere Zeit gerichteten Strukturen sich auflösen. Dejan Mihajlovic bringt die Problematik in seiner Kolumne im Deutsches Schulportal auf den Punkt:

„Vielleicht liegt es an dem lange und viel zu häufig verwendeten schwammigen Begriff ´Digitalisierung´ und dem gedanklichen Rahmen, den er schafft, dass die digitale Transformation – beziehungsweise der kulturelle Wandel, der für die grundlegenden Veränderungen gesellschaftlicher Ordnung steht – missverstanden wurde und wird. Wenn nämlich der notwendige Wandel im Bildungswesen darin bestehen soll, die bisherigen Strukturen und Inhalte lediglich zu digitalisieren, dann ist das kein erster Schritt in das Zeitalter der digitalen Transformation, sondern das digitale Konservieren einer bereits überholten Lernkultur.“2)

„Was tun?“, sprach Zeus. Die Beschäftigung mit diesem Thema erweitert unser demokratisches Verständnis und lokalisiert zunächst Problemfelder, die behoben werden müssen. Daher fordere ich schon seit langem, dass die Möglichkeiten der Beschäftigung mit Kunst und Kultur mit all ihren ästhetischen Ausrichtungen nicht nur in allen Schulformen gerechter geregelt, sondern auch in das Alltagsleben der Menschen hineingetragen werden sollen. In Zeiten einer extrem kapitalistischen Ordnung und das doppeldeutige Verständnis von Individuum (als Konsument wertvoll, aber als soziales Wesen uninteressant) benötigen wir Menschen und Vereinigungen, die diesem Verständnis entgegentreten. Das funktioniert aber nicht ohne die notwendige Überzeugung selbst aktiv zu werden. In diesem Sinne für das neue Jahr 2019 alles Liebe und Gute mit den Schlussworten: findet euch, schließt euch zusammen…

1)https://www.afdbundestag.de/arbeitskreise/kultur-medien/
2)https://deutsches-schulportal.de/stimmen/digitale-plattformen-konservieren-eine-ueberholte-lernkultur/

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